Sprechstörungen bei Erwachsenen

Memospiel. Foto: Mary Cronos

Sprechstörungen bei Erwachsenen äußern sich sehr unterschiedlich und lassen sich in zwei große Gruppen unterteilen:

  • Störungen der Sprechmotorik (Dysarthrie, Sprechapraxie) und
  • Redeflussstörungen (Stottern/Poltern)

Neurologisch bedingte Sprechstörungen sind oft miteinander oder mit einer Aphasie gekoppelt. Redeflussstörungen bei Erwachsenen können ein sehr unterschiedliches Erscheinungsbild aufweisen. Oft können die genauen Ursachen nicht erkannt werden.

Dysarthrie/Dysarthrophonie

Herr Stefan leidet seit mehreren Jahren unter der Parkinson Erkrankung. Nachdem er am Anfang vor allem Schwierigkeiten beim Laufen hatte, stellt sich nun eine verwaschene Sprache ein. Jugendliche in der S-Bahn pöbeln ihn als „betrunkenen alten Penner an“. Herr Stefan ist sehr betroffen.

Sprechen ist ein sehr komplexer Vorgang. Sehr viele, sehr kleine Muskeln müssen miteinander und mit der Atmung koordiniert werden.  Ist die Funktionsfähigkeit einzelner Muskeln oder das Zusammenspiel einer Muskelgruppe durch eine neurologische Erkrankung betroffen, kommt es zwangsläufig zu einer undeutlichen Artikulation , einer sehr leisen Stimme oder einer  monotonen Aussprache. Die Patienten sind manchmal häufig schwer zu verstehen.

Ursachen können Schlaganfälle oder Blutungen in der rechten Gehirnhälfte oder im Kleinhirn sein. Aber auch Schädel-Hirn-Traumata nach Unfällen oder unterschiedlicher Erkrankungen des Nervensystems wie z.B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose oder ALS können ursächlich sein.

Sprechapraxie

Frau Werner hat einen Schlaganfall erlitten. Sie kann nichts mehr äußern, auch ihr Lachen ist tonlos. Sie kann alles ohne Probleme verstehen und sich schriftlich mit ihren Angehörigen verständigen. Frau Werner leidet unter einer Sprechapraxie.

Die Sprechapraxie ist eine Störung in der Planung und Durchführung von Sprechbewegungen. Der Betroffene weiß, was er sagen will, kann aber die Muskeln, die für die Sprechbewegungen verantwortlich sind nicht richtig steuern.  Oft entstehen deshalb Fehler in der Aussprache und der Betroffene wird schwer verstanden. Menschen mit einer Sprechapraxie haben unter Umständen große Probleme sich überhaupt zu äußern bzw. vollständige Sätze zu bilden.

Das Problem liegt in der Planung der Sprechhandlung, d.h. die einzelnen Artikulationsbewegungen können nicht ausreichend kontrolliert erfolgen, obwohl die Muskulatur prinzipiell die erforderlichen Einzelbewegungen ausführen kann. So ist ein Patient z.B. in der Lage, einen Ausdruck des Ekels mit „ihh“ zu äußern, kann aber der Aufforderung, ein /i/ zu sprechen, trotz großen Bemühens nicht nachkommen.

Eine Sprechapraxie entsteht oft durch einen Schlaganfall und tritt häufig im Zusammenhang mit einer Aphasie auf. In der logopädische Diagnostik muss sehr genau unterschieden werden, ob es sich um eine Aphasie, eine Sprechapraxie oder beides handelt.

Laryngektomie

Laryngektomie ist die Entfernung des kompletten Kehlkopfes bei Kehlkopfkrebs. Die Folgen dieses Eingriffes sind der Verlust der Kehlkopffunktionen, also der Stimmgebung und der Schutzfunktion für die Atemwege. Nach einer Laryngektomie erfolgt die Atmung über einen operativ hergestellten Kanal am Hals (Tracheostoma).  Ziel der logopädischen Behandlung ist es eine Ersatzstimme zu erlernen, damit es dem Betroffenen auch weiterhin möglich ist sich sprachlich zu verständigen.

Audiogene Sprechstörungen

Audiogene Sprechstörungen sind Artikulationsstörungen, die durch Einschränkungen der Hörfähigkeit entstehen. Ursache ist  eine Schwerhörigkeit.  Auch bei dieser Störung ist die Aussprache oft undeutlich und dadurch schwer zu verstehen. Die Lautstärke der Äußerungen ist zusätzlich häufig nicht angemessen. Dadurch können auch Stimmprobleme entstehen.

Stottern

Stottern ist eine Redeflussstörung, die oft schon in der Kindheit auftritt. Sie äußert sich in Form von unfreiwilligen Wiederholungen von Lauten und Silben („B-b-b-b-buch“) sowie als Dehnungen („Ssssssonne“) oder Blockierungen von Lauten (stummes Verharren vor oder in einem Wort, wobei Zeichen von Anstrengung sichtbar oder hörbar sein können: „—Tisch“).

Diese 3 Symptome werden Kernsymptomatik genannt, da sie das eigentliche Stottern darstellen. In Kernsymptomen verlieren Stotternde kurz die Kontrolle über ihr Sprechen, obwohl sie genau wissen, was sie in diesem Moment sagen wollen. Es gibt – meist unbewusste – Strategien, um solche Symptome zu kontrollieren bzw. zu vermeiden. Diese sog. Sekundärsymptomatiken sind oft auffälliger als das Stottern selbst, können sich verselbstständigen und den Betroffenen dann noch mehr belasten.

Typische Sekundärsymptomatiken sind u.a. Ankämpfverhalten, also der Versuch mit einem erhöhtem Kraftaufwand, durch übertriebenes Aus- oder Einatmen, mit zu wenig oder zu viel Luft zu sprechen oder durch Mitbewegungen (z.B. starkes Kopfnicken oder Zwinkern) aus einem Symptom heraus zu kommen. Weitere Sekundärsymptome sind Vermeidungsstrategien (z.B. Vermeiden von Sprechsituationen bzw. Umformulieren bei gefürchteten Wörtern oder Veränderung der Sprechweise hin zum Flüstern, Singsang oder Verändern des Atemverhaltens). Psychische Reaktionen wie Sprechangst, Wut oder Trauer über das Versagen beim Sprechen, Selbstabwertung als Sprecher, Scham und Hilflosigkeit können hinzukommen.

Oft wird die Lebensqualität durch psychische Reaktionen stark beeinträchtigt, obwohl  die Kernsymptomatik nur gering ist oder durch Vermeidung völlig verborgen ist.

Typisch für den Verlauf ist der Wechsel von symptomarmen Phasen mit Episoden stärkerer Symptomatik. Ebenso typisch ist, dass das Stottern in unterschiedlichen Situationen und bei unterschiedlichen Personen verschieden ausgeprägt sein kann.

Poltern

Beim Poltern ist die Verständlichkeit des Gesprochenen durch eine teilweise überhöhte Sprechgeschwindigkeit mit Auslassungen und Verschmelzungen von Lauten, Silben oder Wörtern („zu Hause“ wird „Zause“) beeinträchtigt. Außerdem können Satzabbrüche, Umformulierungen und Floskeln sowie stotterähnliche Redeunflüssigkeiten auftreten.

Bei bewusst verlangsamtem Sprechen reduziert sich die Symptomatik. Das Sprechen kann jedoch nicht langfristig kontrolliert werden. In Verbindung mit Poltern treten häufig auch bei Erwachsenen noch Sprachstörungen auf (Suche nach Wörtern,  Wortschatzeinschränkungen, Grammatikfehler). Polternde können oft das eigene Sprechen schlecht beobachten – die Problematik ist ihnen häufig nicht oder nur teilweise bewusst. Einigen Polternden fällt auch das Zuhören schwer. Poltern wird gesellschaftlich nicht stigmatisiert, der damit verbundene Leidensdruck ist meist gering. Die Einschränkungen durch die eingeschränkte Verständlichkeit können jedoch erheblich sein.

Fazialisparese (Gesichtslähmung)

Frau Walter ist eine sehr gepflegte Frau. Nach einem starken Infekt hängt plötzlich ihr linker Mundwinkel nach unten. Auch kann sie ihr linkes Auge nicht mehr schließen. Ihr HNO-Arzt diagnostiziert eine Fazialisparese nach einer Infektion.

Der Begriff Fazialisparese bezeichnet eine Lähmung der Gesichtsmuskulatur. Der Fazialisparese liegt eine Nervenschädigung zugrunde, die zentral oder peripher sein kann. Der peripheren Fazialisparese liegt eine direkte Schädigung des Gesichtsnervs zugrunde, während die zentrale Fazialisparese auf eine Schädigung innerhalb des Gehirns zurückzuführen ist.

Typische Anzeichen für die Fazialisparese sind u.a. folgende Symptome: Ein Mundwinkel hängt herunter, die Wortbildung und Aussprache sind aufgrund der Schwäche der Wangen- und Lippenmuskulatur beeinträchtigt, das Augenlied schließt nicht vollständig. Darüber hinaus kann eine Gesichtslähmung eine Geräusch-Überempfindlichkeit, eine Geschmacksstörung und verminderte Tränen- und Speichelproduktion verursachen.

Unabhängig von der Ursache sind bei jeder Fazialisparese zur Therapie frühzeitige und regelmäßige Übungen für die Gesichtsmuskulatur wichtig. Am Anfang ist eine hochfrequente Therapie, am besten mehrmals in der Woche, zu empfehlen.